Große Größen – Teil 1
Wenn Sie große Größen hören, an was denken Sie dann? An Ulla Popken, an „Zelte“, an Kleidung, die man ungern als „Mode“ betiteln möchte und vor allem an sich immer wiederholende langweilige Schnitte und Farben.
„Große Größen“ kann aber auch bedeuten, dass betreffende Person einfach groß ist. Was halten Sie zum Beispiel von einer Dame, die über 1,80 cm misst? Groß, nicht wahr?
Das Eigenartige an den Damen-Konfektionsgrößen: Die Körpergröße spielt quasi keine Rolle. Es gibt zwar tatsächlich – zumindest in der Theorie, im Laden gesehen habe ich sie noch nie – lange und kurze Größen, jedoch bleiben bei der Größe 36 unabhängig von der Körpergröße die Umfänge von Oberweite, Taillenweite und Gesäßweite gleich. Im Verhältnis bedeutet das, dass eine große Frau noch viel dünner sein muss um in eine 36 zu passen, wie eine kleine Dame. Denn wenn man etwas skaliert, wächst mit zunehmender Größe eben auch der Umfang. Was nicht nur logisch, sondern auch sehr gesund ist.
Im Umkehrschluss bedeutet das, wenn ich also eine Kundin wie Marion mit ihren zwei Metern vor mir stehen habe, kann die gar keine Größe 36 haben, weil sie sonst wie ein Laternenpfahl aussähe. Bei so viel Länge ergibt sich eben, damit die Proportion schön und gesund ist, eben auch ein Umfang, der zu einer Konfektiongröße von 52 führt. Ach so ja, in den meisten Fällen inst die Größe 52 zwar einigermaßen okay für die geforderten Weiten, aber dann halt doch zu kurz.
Marion ist aber sehr findig und trägt dann eben 3/4-Arm und wadenlange Röcke – der Kollegin mit 1,70 Meter Körpergröße reichen diese Röcke bis auf den Boden.
Ein Traum von Marion war ein Abendkleid das passt. Während andere Frauen davon träumen, dass ein Kleid sie 10 Kilo leichter erscheinen lässt, war der Wunsch hier viel simpler: Ein Abendkleid, das auch wirklich bodenlang ist und nicht auf „Tee-Länge“ aufhört.
Das ist ja das schöne an der Maßschneiderei. Uns sind die Konfketionsgrößen völlig schnuppe. Mich interessiert nur, was mir mein Maßband sagt. Aus diesen Maßen erstelle ich den Schnitt und dann wird das Kleidungsstück eben so gearbeitet, dass es passt. Bei uns müssen Maße nicht in ein Raster passen.
Marion hatte auch eine klare Vorstellung von der Gestaltung des Kleides. Sie wollte das Kleid gerne bis zur Schulter hochgezogen, mit kleinen überschnittenen Ärmelchen, gleichzeitig sollte es aber auch eine Blende geben, die einen Herzausschnitt nachempfand. Wir haben das Ganze mit drei Stoffen gelöst:
Grundstoff war ein blauer schwerer Crèpe-Satin, aus den wir sowohl den Rock, als auch das Oberteil genäht haben. Über den Rock kam noch eine Lage Georgette und auch oberhalb des Herz-Ausschnitts wurde der Bereich bis zur Schulter mit dem blauen semitransparenten Georgette gestaltet. Als drittes Material wählten wir zusammen eine wunderschöne, perlenbestickte Spitze aus, die auf die Blende am Ausschnitt und als Gürtel auf den Übergang von Oberteil zu Rock gesetzt wurde.
Die Blende, die den Ausschnitt beschreibt fließt als Abschluss des kleinen überschnittenen Ärmels um die Schulter herum. In die hintere Mitte nähten wir einen nahtverdeckten Reißverschluss, der allerdings nur bis zur Blende reicht. Oberhalb, im Georgette, ist ein Schlitz gearbeitet, der dann lediglich mit einem kleinen Knopf und einem Schlingerl zu schließen ist.
Das Ergebnis war eine überaus glückliche Marion, die endlich ein bodenlanges Abendkleid besitzt, ganz so, wie sie es sich immer erträumt hat. Schlicht, elegant und vor allem passend.