Lieblingskunden
Ich hatte vor kurzem eine Diskussion mit einem lieben Freund, weil in „Lilies Diary“ zu lesen war: „Sie kann sich mittlerweile auch den Luxus leisten, nur mit ihren Lieblingskunden zu arbeiten.“. Ja, das klingt so, als gäbe es an meiner Atelierstür einen imaginären Türsteher, der nicht jeden rein lässt. Oder so, als ob ich Kunden ablehnen würde, weil ich sie nicht mag.
Nein, so ist das ganz sicher nicht.
Mich interessiert vor allem, wer die Menschen denn sein wollen, wenn sie das Kleidungsstück tragen, das sie von mir gefertigt haben wollen. Wie will sich dieser Mensch fühlen. Allein durch diese Fragestellung entwickelt sich eine gewisse Nähe. Ich lerne die Wünsche meines Gegenübers kennen – und vielleicht auch ein wenig über seine Bedenken. Diese Offenheit hat für mich stets zur Folge, Sympathie zu empfinden. Es ist schließlich ein Ausdruck von Vertrauen, wenn ich anderen Menschen ein bisschen „in den Kopf gucken“ darf. Ganz, ganz selten kommt es vor, dass jemand bei mir herein kommt, mit dem ich nicht so kann. Das bedeutet nicht, dass ich unhöflich werden würde oder diesen Menschen nicht bedienen möchte. Es ergibt sich dann, dass die Wünsche, die dieser Mensch mitbringt, nicht von mir zu erfüllen sind. Und bevor am Ende weder Kunde noch ich happy sind, ist es besser, solche Aufträge abzulehnen. Ich habe in meiner ganzen Selbständigkeit ganz bewusst nur drei Kunden abgesagt. Doch es kam bestimmt zwei Dutzend Mal vor, dass ich Interessenten im Atelier hatte, die nicht zu mir passten und von sich aus nicht mehr gekommen sind.
Und alle die, die bleiben, die sich von uns etwas anfertigen lassen, sind somit Lieblingskunden.
Auf diese Art und Weise ist es mir möglich für meine Kunden Dinge zu fertigen, die so individuell sind, wie diese Personen selbst.
Mir persönlich ist es immer ein ganz besonderes Vergnüngen, wenn ich zu Anfang einen Menschen vor mir finde, den viele Fragen beschäftigen: „Kann ich beschreiben, was ich mir an Klamotte vorstelle?“ „Werde ich verstanden?“ „Wie läuft das überhaupt alles ab?!?“ „Kann ich mir das leisten?“.
Der gemeinsame Prozess, das vorsichtige gegenseitige „Abtasten“ ist immer etwas ganz Einzigartiges. Und oft sind die Menschen überrascht, wie schnell und genau ihr Wunschoutfit entsteht. Zuerst auf Papier und in Form von Stoffmustern, später in Realität.
Es ist ein bisschen wie ein Tanz, mit einem neuen Tanzpartner zu einer Musik, zu der man noch nie getanzt hat.
Ich habe Mitte August angefangen, mir die Geburtstage einiger Garderobenstücke heraus zu schreiben, die ich gefertigt habe. Da sind natürlich Kleider und Anzüge dabei, die bereits vor zehn oder 15 Jahren gefertigt wurden. Das witzige ist: Ich kann mich an jedes Stück, an jeden Kunden und an die jweiligen Besonderheiten erinnern, als wäre es erst gestern gewesen.
Viele meiner „Lieblingskunden“ begleiten mich auch dementsprechend lange. Da ist aus einer reinen Kundenbeziehung schon längst eine gute Bekanntschaft geworden.
Um es anders auszudrücken: Bitte kommen Sie uns gerne besuchen!
Mir ist es auch stets ein Anliegen über unsere Arbeit aufzuklären. Die wenigsten Menschen wissen, was ein Maßschneider tatsächlich so alles macht. Nicht umsonst gehört ein Artikel wie der über die Preisgestaltung zu den meist gelesensten. Ich freue mich, wenn ich Menschen kennen lerne und ihnen etwas mit geben darf. Ob das nun tatsächlich ein neues Kleidungsstück ist, oder nur ein bisserl Wissen um ein wundervolles Handwerk sei da hingestellt. Und wer weiß? Vielleicht sind Sie mein nächster Lieblingskunde?