Warm durch den Winter – aber nicht ohne „shiny things“
Gerlind gehört zu meinen allerliebsten Lieblingskundinnen. Sie hat einen herrlichen Humor, kann die dollsten Geschichten erzählen, und ist eine modische Rebellin.
Wenn Gerlind etwas nicht leiden kann, dann sind das die von der Mode für kräftige und ältere Menschen vorgedachten Farben: braun, grau, schwarz. Das ist für sie einfach viiiiiieeel zu langweilig.
„I love shiny things“ ist bei uns im Atelier zum geflügelten Wort geworden. Denn das sagte Gerlind zu mir, als wir zusammen saßen und über eine warme Jacke für den Winter sprachen. Sie ist immer ein bisschen hin und her gerissen: Einerseits möchte sie nicht wie ein Zirkusdirektor im Stadtbild auffallen. Andererseits schlägt ihr Herz höher, wenn es glitzert und funkelt. Ach ja, es sollte ja eine praktische, warme Winterjacke werden…
Als erstes fand Gerlind ein Stück elastische Spitze in unserem Atelier: „Das ist schön!“ – warme Winterjacke! Aber gut, wir können das kombinieren. Aufschläge und Stehkragen können gut mit dieser Spitze überzogen werden. Gegen das triste Grau der deutschen Winterzeit hilft ein strahlendes Petrol-türkis. Und in diesem Farbton gab es dann auch einen wunderbar waremen Wollwalk. Der kann auch Regen ab.
Die Überjacke sollte einfach zu schließen sein. Also gab es einen Reißverschluss, den wir verdeckt einarbeiteten.
Warme Jacke – ja. Aber shiny ist das nicht.
Außerdem noch viel zu langweilig!
Gerlind wollte dazu einen kleinen Poncho haben. Und der sollte auch mit der Spitze belegt sein. Und zusätzlich müssen da Fransen dran. Poncho eben! Die Fransen könnten doch glizterig sein?
Glitzerfransen wurden zur Herausforderung: Meine erste Idee war eine Wolle mit Lamégarn – aber das gab es einfach nicht in der passenden Farbe. Ich war froh, dass Edith vom Wollstübchen überhaupt Wolle für mich hatte, die farblich zu Wollwalk und Spitze passte. Diese Wolle glitzerte nur gar nicht. Zu langweilig…
Billige Lamé-Fransen kamen nicht in Frage, die hätten am Stoff geklebt oder sich auch in der Spitze des Ponchos verfangen – das würde nichts gleich sehen. Petrolfarbene glitzrige Fransen hatte aber kein Lieferant. Perlenfransen! Die kann man selbst machen – was dann ein kleines Vermögen kostet – oder man hat großes Glück und bekommt tatsächlich türkisene Perlenfransen im Bauchtanz-Zubehör. Super!
Nun ja, shiny ist schön, aber das ist jetzt schon seeehr shiny. Das ist eher Zirkusdirektor. Oookay. Wir hatten also Perlenfransen, die zu glitzrig waren und Wolle die zu langweilig war.
Naja, dann müssen wir das halt kombinieren.
Tatsächlich flochten wir nun zu erst die Wollfransen an den Poncho – immer abwechselnd ein Paar trükise Fransen und dann ein paar blaue – und nähten im Anschluss noch die türkisen Perlenfransen dahinter.
Nun glitzert der Poncho – aber nicht zu viel.
Wenn Sie sich nun fragen, warum der Reißverschluss so sehr zur Seite driftet und die Jacke allgemein etwas „unförmig“ wirkt: Das liegt am Unterschied Puppe – Kundin. Gerlind hat eine Skoliose, die nicht ohne ist. Unterschiedlich hohe und lange Schultern, eine Torsion im Oberkörper und die Brustwirbelsäule ist sehr rund nach vorne. An Gerlind sieht die Jacke gerade aus – aber eben nicht an einer Puppe, die selbst gerade ist.
In diesem Fall dürfen wir also einem lieben Menschen nicht nur seine Wünsche in Sachen Design erfüllen, sondern auch noch schnitttechnisch für ein gerades Erscheinungsbild sorgen.
Wir freuen uns schon auf das nächste gemeinsame Projekt!