Stoff aus Ananasfaser? Äh, ja…
Angelika Bungert-Stüttgen – die Freiraumfrau – erzählte mir, sie habe einen wundervollen türkisenen Stoff aus Ananasfaser zu Hause liegen, der dringend verarbeitet gehöre. Sie stelle sich eine Jacke daraus vor.
Ich stellte mir auch gleich eine Jacke vor. Nur stellte ich mir Ananasfaser völlig falsch vor. 🙂 Ich dachte auf ein Gewebe zu stoßen, dass mit Leinen zu vergleichen sei. Vielleicht etwas leichter als klassisches Leinen und auch glänzender? Was sich mein Kopf halt so ausmalte.
Somit gab das auch ein Angebot für eine Jacke, die ordentlich mit Rosshaar verarbeitet werden sollte. Ich pinselte also Angelika ganz liebevoll ein detailliertes Angebot. Lose Verarbeitung, handgestochene Knopflöcher, alles vom Feinsten. Aber irgendwie wirkte sie so gar nicht glücklich, als sie mich anrief. Sie glaube nicht, dass man den Stoff so verarbeiten könne.
Also verabredeten wir uns in München zum Kaffee. Maßnehmen musste ich auch noch und der Stoff musste schließlich nach Erlangen ins Atelier gelangen. Als ich die Ananasfaser dann live sah, verstand ich, wovon Angelika gesprochen hatte: Dieser Stoff hat zwar einen ähnlichen Stand wie Leinen oder Flachs, ist aber zu einem Organdy verarbeitet. Wer diesen Begriff nicht kennt, denke an die klassische transparente Gardine 🙂
Oookay, da bin ich mit Rosshaar völlig falsch unterwegs. Das würde man schlicht durchsehen und ja, es ist auch viiiiel zu steif und dick für den Anlass.
Zudem war es Angelikas Wunsch eine Jacke zu bekommen, die mit in den Freiraumbus kann. Dort wird die Garderobe gerollt. Passt zur Ananasfaser! Sie hat die Eigenart in der Schussrichtung zu knautschen. Es ergibt sich ein sehr schöner Crash-Effekt, wenn man sie eine Zeit getragen hat.
Der Arbeitsaufwand purzelte somit um ein gutes Drittel. Kein Futter, kein Rosshaar – die Jacke sollte lediglich im Bereich des Kragens zur Stabilisierung des selbigen eine Schicht Organza verpasst bekommen, damit die Sache nicht zu „fluffig“ wird.
Heraus kam eine unglaublich leichte Blusenjacke. Sie ist so leicht, dass man sie gar nicht spürt. Auf der Puppe wirkt sie fast ein bisschen „schlampig“ so leger kommt sie daher. Von Angelika getragen hat sie genau das richtige Flair zwischen „künstlerischer Freiheit“ und eleganter Garderobe. Und das Rollen im Freiraumbus funktioniert auch hervorragend wurde mir berichtet.
Es gibt diesen Satz „Form follows function“ – dieser Auftrag war ein schönes Beispiel, dass wir uns meist nach dem Material richten. Natürlich sucht man das Material nach der gewünschten Funktion der Garderobe aus. Der Stoff diktiert uns neben der Verarbeitung auch oft das Design.
Ich hätte in der Ananasfaser ungern geschwungene Nähte gehabt. Auch offene Nähte sind keine gute Idee, denn das Material ist so spröde, dass Overlocknähte einfach herausrutschen. Diesen Aspekt meiner Arbeit liebe ich: mit jeder Anfrage und jedem Material wieder bei Null anfangen und mir den besten Weg zu suchen. Darum ist die Maßschneiderei ein Job, der auch nach Jahrzehnten noch Freude macht.