Titel und Tapeten
Jeder von uns hat sich sicherlich schon einmal über eine Schulnote oder anderweitige Bewertung geärgert. Na klar, man hatte nicht gelernt, einen BlackOut oder wurde schlicht beim Schummeln erwischt. Doch das sind die Fälle, die man selbst zu verantworten hat und damit gut.
Was aber, wenn Bewertungen auf eine Weise eigenartig ausfallen, dass es naheliegend ist politische Gründe zu vermuten? Ich entsinne mich an meine praktische Meisterprüfung. Wir waren eine Gruppe von zehn Leuten, die die Aufgabe zu bewältigen versuchten ein komplettes Outfit zu erstellen – in vorgeschriebender Zeit und zu festgelegten Bedingungen. Eine von uns fertigte ein Outfit im Landhausstil an: Rock, Bluse und Weste. Doch irgendwie kam sie zeitlich ins Schleudern. Es wurde auch nicht so richtig „sauber“ – sie trennte recht viel hin und her… Am letzten Tag, kurz vor der Mittagspause, war die Bluse noch immer nicht fertig. „Das wird knapp!“, dachte ich mir noch, bevor ich zu Mittag ging. Umso erstaunlicher, dass nach der Mittagspause alles fertig und auch wirklich sehr ordentlich gearbeitet war.
Jedem war klar, dass das Outift schlicht ausgetauscht worden sein musste. Das konnte auch den Aufsichten nicht entgangen sein. Dennoch wurde großzügig über den Betrug hin weg gesehen. Nun, die Kollegin hatte sich schon damals bereit erklärt, nach bestandener Meisterprüfung in die Innung ein zutreten und zwei Lehrlinge auszubilden.
Es gibt auch die „netten Geschichten“: Noch länger her… Bei meiner Gesellenprüfung drohte Lina nicht fertig zu werden. Es fehlte Ihr vielleicht um eine dreiviertel Stunde die Zeit. Eine halbe Stunde vor Prüfungsende tat die Aufsicht kund, sie müsse nochmals zur Toillette – ES KÖNNE ETWAS DAUERN – sie käme aber selbstverständlich kurz vor Prüfungsende wieder. Sie lächelte uns zu und verschwand. Wir haben Linas Prüfungsfleck zu viert fertig genäht. Was eine Herausforderung war, denn diese Prüfungsflecken waren damals nicht größer als 30 mal 70 Zentimeter.
Lina hätte die Prüfung so oder so bestanden. Wahrscheinlich war es so die bessere Note.
Das letzte, was ich in Sachen Prüfungen mitbekommen habe, war, dass der Prüfungsausschuss einen Lehrling in der Gesellenprüfung durch fallen hat lassen, „weil wir doch wissen, dass sie das besser kann“. Äh, ja. Klingt nicht nur komisch, ist auch so.
Das Mädchen hat im praktischen Teil ein grotten schlechtes Ergebnis gehabt und wäre somit durchgefallen. Allerdings zählt das Fachgespräch, dass zum praktischen Teil dazu gehört 20% zur Gesamtnote. Und da sie im Fachgespräch so gut war, hätte sie die Gesellenprüfung mit ach und krach bestanden.
Die Prüfungskommission entschied aber, dass es „besser sei“, den Gesellenbrief zu verweigern.
Spannend.
Hätte man nicht ehrlich bleiben können um dann dem Prüfling nahe zu legen, freiwillig die Prüfung zu wieder holen?
Wie vermittelt ein solcher Prüfungsausschuss das Vertrauen, dass aber zufällig alle anderen Prüfergebnisse „ehrlich“ sind?
Sehr spannend auch, dass es Bundesland übergreifend gewisse Ähnlichkeiten bei der Benotung gibt. So wurde mir erzählt, dass es auch im Raum Oldenburg Gang und Gäbe ist, dass ein Lehrling, der nicht die Berufsschule besucht hat, per se eine Note schlechter korrigiert wird, als ein vergleichbarer Lehrling, der sich um den Erhalt der Berufsschullehrerplätze bemüht hat.
Abschließend ist also zu sagen: Unsere Titel sind nichts mehr wert. Egal ob es ein durch Plagiat erschlichener Doktortitel ist, ein politisch ambitionierter Meistertitel oder der Gesellenbrief, der nach gut dünken vergeben wird – kein Kunde kann entscheiden, ob der Meisterbrief an der Wand den Wert einer schmucken Tapete hat oder berechtigt getragener Titel ist.
Traurige Sache das.