Kariert sind alle meine Kleider Teil 2 – Mein Gesellenstück
Es ist nun ziemlich genau 2 Jahre her, dass ich meine Gesellenprüfung abgelegt habe.
Ich selbst habe darüber noch gar nicht berichtet, Susanne hat es bereits hier getan. Während sie mehr auf das feierliche Drumherum eingegangen ist, möchte ich mein Modell genauer beschreiben.
Eine Prüfung läuft bei uns folgendermaßen ab: Einige Wochen vor dem Prüfungstermin bekommt man Post von der zuständigen Obermeisterin, in der alle fachlichen Kriterien aufgeführt sind, die unsere Stücke aufweisen müssen. Grundsätzlich müssen wir eine Jacke plus Kleid, Hose oder Rock nähen. Ich entschied mich für eine Jacke mit Kleid. Dann geht es etwa einen Monat vor der Prüfung zur Modellbesprechung, zu der der Prüfling eine Mappe mit einer modischen und technischen Zeichnung seines Stückes, sowie einer genauen Beschreibung mitbringen muss. Die wird dann von der Prüfungsleitung gesichtet und (hoffentlich) genau so genehmigt. Es müssen verschiedene Gestaltungs- und Verarbeitungselemente enthalten sein, dazu gehören eingeschnittene Taschen, mindestens ein Hand- oder Paspelknopfloch, sowie eine Kragenvariante und einiges mehr. Man muss also im Vorfeld sein Modell so auslegen, dass all diese Elemente enthalten sind, was mir zugegebenermaßen schwer fiel.
Aber wie es meistens ist, kam eines schönen Tages ein Stoffvertreter von Scabal mit den „Restposten“ und dort verliebte ich mich in einen hellblau-weiß karierten Glencheck., womit wir wieder beim Thema wären. Wenn ich dann einen Stoff gefunden habe, entwickelt sich das Modell glücklicherweise recht schnell.
Die Großteile wie Rock- Vorder- und Rückteil, sowie die Ärmel, werden im Betrieb zugeschnitten, Einlage und Kleinteile wie der Kragen dann vom Prüfling vor Ort.
Die hellblau-weiße Wolle-Seide von Scabal sollte der Rockteil von meinem Kleid werden. Das Oberteil fertigte ich aus einem Reststück Satin, was noch von meiner Bluse von der Bayrischen Meisterschaft übrig war. Vorne ist das Kleid unter der Brust abgeteilt, also im Empire-Stil, hinten fällt die Teilungsnaht in die Taille ab. Der Rock ist mit Abnähern im Vorder- und Rückteil auf Figur gebracht, schließt in der hinteren Mitte mit einem nahtverdeckten Reißverschluss und hat einen verdeckten Gehschlitz, für die bessere Bewegungsfreiheit. Der Saum ist eingefasst und dann mit Handstichen angenäht. Das Oberteil hat einen amerikanischen Armausschnitt, der ganz fein eingefasst ist (wer mich kennt, weiß wie sehr ich Einfassen nicht leiden kann, aber man möchte sich ja auch hin und wieder selbst herausfordern), einen Stehkragen, der in der hinteren Mitte mit 2 Knöpfen und Schlingerl schließt und einen langen offenen Schlitz in der hinteren Mitte, den ich mit kleinen Handstichen fixiert habe. Der Rockteil ist mit reinseidener Pongé abgefüttert, was eine rutschige Angelegenheit ist, weshalb mich unsere damalige Obermeisterin gefragt hat, ob ich das wirklich tun will, aber ich wollte mich ja selbst herausfordern…
Die dazugehörige Jacke ist aus einem dunkelblauen Wollflanell, den ich auch schon bei der Bayerischen Meisterschaft für die Hose verwendet hatte, ich bin also ein sehr beständiger Mensch, was Geschmack angeht :-). Sie ist eher schlicht gehalten, hat vorne und hinten formgebende Wienernähte, einen Schalkragen und Ärmelschlitze mit jeweils 3 handgestochenen Knopflöchern (Herausforderung!). Auch hier habe ich wieder die Schleifenknöpfe verwendet, wie bei der Bayerischen Meisterschaft. Für den Unterkragen habe ich nochmal die karierte Wolle-Seide vom Kleid verwendet. Natürlich ist die Jacke komplett lose mit Rosshaar verarbeitet, also Kragen und Revers sind von Hand pikiert und in den Säumen ist auch Rosshaar von Hand angestochen.
Ich war damals die einzige, die diese Verarbeitungsform gewählt hat, alle anderen haben ihre Frontteile einfach mit Klebeeinlage fixiert und durften im Gegensatz zu mir auch schon vorher alles bekleben. Ich musste sogar meine Rosshaareinlage vor Ort zuschneiden. Den Sinn dahinter habe ich bis heute nicht verstanden, aber da es trotz aller Widrigkeiten zum Kammersieg gereicht hat, rege ich mich darüber nicht weiter auf. 🙂
Da alle Stücke ein Gestaltungselement enthalten mussten, entschied ich mich dafür, die Jacke mit einem Gürtel zu schließen, auf dem eine Schleife aus feinem Lammnappa ist. Die gleiche Schleife ist auch nochmal über dem Gehschlitz am Rock angebracht. Da das der Prüfungsleitung leider zu wenig war, habe ich noch ein kleines Täschchen aus dem Flanell gefertigt und auch darauf eine Schleife aufgenäht.
Für dieses ganze Aufgebot hatte ich nur 40 Stunden, also eine Arbeitswoche Zeit, was für das, was ich da alles aufgefahren habe, schon knackig war. Ich gestehe, dass ich mich natürlich nicht ständig selbst herausfordern wollte, aber ich wollte auch ein Modell haben, was fachlich heraussticht und was natürlich meinen eigenen hohen Anforderungen entspricht. Im Nachhinein hätte ich vielleicht das ein oder andere weglassen können, aber wie schon gesagt, trotz aller Widrigkeiten habe ich den Kammersieg geschafft, deshalb ist alles gut so wie es ist und ich habe ein Gesellenstück, das mir auch heute noch Freude bereitet, da ich eben nicht nur die Mindestanforderungen erfüllt habe, sondern etwas mehr.