Jahrgangsbeste!
Auch wenn die Gesellenprüfung und die Freisprechungsfeier schon einige Zeit her ist – das muss berichtet sein!
Unsere Karen hat im Juli 2014 Ihre Gesellenprüfung abgelegt. Im Schneiderhandwerk besteht diese Prüfung im groben aus zwei Teilen: dem schriftlichen Theorie-Teil, in dem eine Kalkulation und eine Zeichnung zu erstellen ist, sowie „Fachkunde“ (Materialien, Webungen, Herstellungsverfahren, etc.), Sozialkunde und Kostümgeschichte abgefragt werden und dem praktischen Teil. Für die Theorie sitzt man einen Tag im Klassenzimmer der Berufsschule. Für die Praxis geht es für eine Woche in die Prüfungswerkstatt.
Die Aufgabe für diese eine Woche: Ein Outfit nähen, dass bestimmte Elemente zeigt und in etwa einen Aufwand von 40 Stunden umfasst. Es werden also nicht nur Fertigkeiten im handwerklichen Bereich abgeprüft, sondern auch, ob die angehende Gesellin ihr Arbeitstempo einschätzen kann. So gibt es genauso Abzüge, wenn man schon nach 25 Stunden fertig ist, wie auch, wenn man überzieht.
Die Liste der beinhalteten Elemente liest sich lang. Da ist die Rede von „Taillenverarbeitung“, „Kragenverarbeitung“ und einer „Zierarbeit“. Das klassische Modell für die Gesellenprüfung ist Rock mit Jacke. Nur unsere Karen und ein Kostüm? Und ein Kostüm ohne Bluse oder Top ist auch irgendwie nur die halbe Miete 🙂
Ich habe Karen vom ersten Tag an als Freigeist erlebt. Was das Grosse macht, ist nur halb so spannend. Anders sein, die Dinge neu überdenken, den Knoten mal linksherum legen – das ist Karen. Also ging Karen nicht davon aus, was sie alles erfüllen mussste, sondern davon, was ihr gefällt. Und Karens Anspruch war noch nie gering.
Es entstand ein Kleid mit Jacke. Am Ende waren bis auf die Anforderung „eingesetze Taschen“ sogar alles abgedeckt. Die wurden dann einfach auf ein extra Stück Stoff gearbeitet. Ich finde es auch hervorragend, dass Karen nicht noch „erzwungen“ irgendwelche Taschen in ihr Outfit integriert hat. Das hätte die Linie zerstört.
Obwohl Jacken zu den schwierigeren Teilen in der Schneiderei gehören, war es das Kleid, dass Karen einmal zur Probe nähen wollte. Zuviel noch nie Ausprobiertes galt es hier zu beherrschen. Das Oberteil hatte keine Seitennaht, das so entstandene Seitenteil ging bis unter den Brustpunkt. Im Rücken dieses „Seitenteils“ waren Falten gelegt. Kleine überschnittene Ärmelchen komplettieren die harmonische Silhouette. Und weil es total doof ist, das gleiche Kleid zweimal zu besitzen, bekam ich das „Probestück“ von Karen genäht.
Praktischerweise sind wir vom Körperbau relativ ähnlich. Nur die Empirelinie musste verlegt werden.
Dass Karen eine Perfektionistin ist, wusste ich. Dass Karen sicher zu den Besten gehören würde, war mir genauso klar. Doch dass Karen dann als Jahrgangsbeste abschnitt – damit hatte ich nicht gerechnet.
Ich war stolz wie Oskar!
Drei Jahre, nachdem Olga eine hervorragende Gesellenprüfung abgelegt hatte, nun eine Jahrgangsbeste zu verabschieden… Das ist für jeden Ausbilder ein dickes Schulterklopfen.
Natürlich hatte ich bei der Freisprechungsfeier mein „Karen-Kleid“ an. Karens Eltern, die extra aus Nord-Rhein-Westfalen angereist waren, hielten das „Doppelte Lottchen“ auch hübsch im Bild fest. Die Zeugnisse übergab übrigens Ehrengast Frau Maly.
Karen, nochmals meinen herzlichsten Glückwunsch! Absolut verdient.