Jacke aus grünem Samt
Samt zu verarbeiten ist immer ein so eine Sache. Das Material hat auf Grund der abstehenden Härchen die unglückliche Eigenschaft zu „schieben“. Will heißen: Ich stecke mir meine Naht mit Nadeln, nähe genau auf meiner Linie entlang und habe hinterher den „unteren“ Stoff doch bis um doppelte Härchenlänge rechts oder links der gewünschten Nahtlage festgesteppt.
Warum ist das so?
Beim Stecken stecke ich natürlich schön meine beiden eingezeichneten Nahtlinien aufeinander. In dem Moment, in dem ich den Samt unter die Nähmaschine lege ist auf den beiden Stoffschichten viel mehr Druck, als er eben noch beim Stecken war. Die Samthärchen schieben sich also ineinander und müssen sich nun entscheiden, in eine Richtung „umzuknicken“. Durch den Druck werden sie gezwungen sich hinzulegen. Nun haben sich die Härchen aber bereits kurz vorher so in einander geschoben, dass sie sich wechselseitig dazu zwingen in die entgegengesetzte Richtung umzuklappen. Und dabei werden die „Trägerstoffe“ eben verschoben.
Umso hochfloriger Samt ist, um so stärker der Versatz. Auch das Material spielt eine Rolle: Seiden- und Viskosesamte rutschen aus meiner Erfahrung weiter auseinander als Baumwollsamte.
Die einzige Möglichkeit ist oft, den Samt vor dem Steppen bereits sehr klein zu heften. Dann mache ich nämlich per Hand das, was die Maschine hinterher auch macht: Ich zwinge den Flor „in die Knie“. Nur habe ich beim Handnähen viel mehr Kontrolle über die Verschiebung, als beim Steppen.
Wenn Sie das gelesen haben, können Sie sich vorstellen, dass ich ein bisschen die Luft angehalten habe, als mir Brigitte D. Ihren Wunsch präsentierte, eine Jacke aus Samt zu besitzen. Nun ist eine Kostümjacke per se schon eine immerwährende Herausforderung: Schulterpartie, Kragen, Ärmel – sitzt das alles? und richtig gut? Und dann auch noch ein Material, das ich unter Umständen nicht unter Kontrolle habe…
Ich darf hier mal ganz deutlich Werbung machen: Der Samt von Scabal ist grandios! Zum einen ist die Farbauswahl wunderschön, zum anderen schob der so gut wie gar nicht. Keine Ahnung, was die Herren Hersteller da für Tricks angewendet haben, aber dieser Samt lässt sich problemlos verarbeiten.
Somit waren meine Bedenken völlig unbegründet und wir konnten für Brigitte eine wunderschöne grüne Samtjacke anfertigen.
Ihr großer Wunsch war, dass die Jacke durch den Stoff wirkt, ansonsten sehr reduziert gehalten ist. Die Jacke sollte Kante an Kante stoßen, auch am Ärmel gab es einen Schlitz, der Kante an Kante ging. Einzig den Schlitz in der hinteren Mitte arbeiteten wir verdeckt.
Von der Nahtlage entschieden wir uns für Flankennähte, die vorne einen kurzen Brustabnäher haben.
Ein weiteres Wunschdetail war der Schalkragen, der recht kurz gearbeitet wurde, damit er auch gut aufzustellen ist. „Kurz gearbeitet“ heißt also nicht, dass das Revers möglichst hoch schließt, sondern, dass die äußere Kragenkante so knapp – der Schalkragen in der Anlage so gerade – war, dass er nicht von alleine in die umgeklappte Variante wollte. Wie man auf den Bildern sehen kann, lässt er sich zwar umlegen, jedoch bleibt er eben auch brav stehen…
Dafür, dass die Jacke außen so schlicht, elegant ist, sollte es innen schon ein bisschen aufregender sein. Hier griffen wir also zum silber/schwarzen Paisleyfutter. Und weil die glatte Oberfläche des Samtes keine Tasche stören sollte, gab es eine solche eben im Futter zu finden.
Eine schöne Geschichte ist der Verschluss. Brigitte wollte von Anfang an einen Verschluss mit Schlinge und Knopf. Allerdings ist ein Schlingerl aus Samt eine nicht sehr feine, kleine Angelegenheit, sondern doch ein anständiger „Wulliwurm“. So eine Schlinge in die vordere Kante der Jacke zu nähen, wäre immer ein „Gebatzel“ geworden. Ich schlug also vor, dass wir die Schlinge aus einem anderen Material machen. Aber nein, das sollte nicht sein.
Hier zeigt sich wieder, dass man kein Design studiert haben und kein Schneider sein muss um klasse Ideen zu haben. Der liebe Gatte von Brigitte hatte die perfekte Idee: „Mach doch zwei Knöpfe und einen Achter aus dem Schlingerl!“
Gesagt, getan!
Die Jacke sitzt perfekt an Brigitte. Vor allem mit der weißen Bluse, die den leicht rüschigen Kragen hat, macht das richtig was her!
…und wenn meine Libelingskunden glücklich sind, bin ich das auch 🙂