Hinter die Kulissen geguckt
Die Textilbranche hat soviele Gesichter. Wir arbeiten in unserem Atelier zu viert. Jeden Tag stehen wir vor neuen Herausforderungen, neue Anforderungen, neue Materialien und somit neuen Verarbeitungsweisen. Somit ist es bei uns nicht möglich eine 100% Voraussage über den Zeitaufwand zu machen. Auch bringen uns festgelegte Standarts wie zum Beispiel „jede Hose muss eine Bundhöhe von 4cm aufweisen“ genau gar nichts. Denn für die eine Kundin ist ein Bund mit 3cm perfekt, für die nächste einer mit 4,5cm.
Es gibt aber auch Betriebe, die können auf die Sekunde sagen, wie lange die Erstellung einer Hose benötigt und da sind die 4cm Bundhöhe so sicher wie das Amen in der Kirche. In solchen Betrieben arbeiten auch selten nur 4 Personen, sondern eher 400. So zum Beispiel bei Tailor Hoff in Saarbrücken/Güdingen.
Das Unternehmen stellt dennoch Unikate her.
Tailor Hoff arbeitet vor allem im B2B-Bereich. Durch ein ausgeklügeltes Schnitt- und Kommunikationssystem können Kollegen Maßschnitte digital übermitteln. Dann schickt man noch den Wunschstoff und Tailor Hoff fertigt aus diesem Stoff einen Anzug nach dem zuvor übermittelten Schnitt. Für uns ist Tailor Hoff ein langjähriger Partner: Wir sind die Spezialisten für die Damen – Tailor Hoff für die Herren.
Ende April machten wir
vier fünf (Hätte ich doch fast Coco vergessen!) uns also auf den Weg ins Saarland und tauchten in die Welt der industriellen Fertigung ein. Natürlich ist bei Tailor Hoff alles größer – aber vor allem ist es auch viel lauter. Wir waren uns nach zwanzig Minuten einig: hier würden wir keinen Tag „überleben“. Die Produktionshalle ist riesig. Unzählige hochspezialisierte Näh- und Bügelmaschinen reihen sich aneinander. An jeder Station arbeitet eine Person, die die nötigen Handgriffe im Schlaf beherrscht. Denn neben dem Grundlohn, gibt es für besonders effiziente Arbeit noch Arkord oben drauf.
Ich muss spontan an die „Borg“ denken: Manche Nähmaschine ist so stark umbaut, dass man sie schon fast suchen muss. Diese „eingebauten Maschinen“ sind zum Beispiel zur Erstellung einer Pattentasche entwickelt worden. Paspelstreifen und Tascheneingriff werden an die markierte Stelle gelegt, die Maschine greift zu und nach zwei Sekunden ist das Paspol perfekt angenäht. So entsteht eine ganze Pattentasche in 90 Sekunden. Wir benötigen da eher 90 Minuten!
Dafür gibt es diese Automaten auch erst ab 25.000 Euro und man braucht mal eben zwei Quadratmeter Platz 🙂
Tailor Hoff ist die wohl größte Maßkonfetkions-Firma, die in Deutschland produziert. Die Philosophie ist nicht „mit der Stange mithalten – schneller, schneller, schneller!“, die Philosophie lautet „so nah wie möglich ans Vollmaß!“
Der Unterschied liegt im Tragegefühl. Konfektionäre Verarbeitung ist meist sehr „hart“. Die Nähte sitzen unverrutschbar. Alles ist getackter, mit kleinem Stich genäht, verklebt. Wenn wir Konfektion zum ändern ins Atelier bekommen stöhnen wir oft darüber, weil man beim Auftrennen Schwierigkeiten hat, das Stück nicht zu zerstören.
Tailor Hoff entfernt sich immer weiter von der harten, unveränderlichen Stangenware: Es ist unglaublich, wieviel hier geheftet wird! Die Einlagen werden lose verarbeitet, das Schulterpolster hängt nur auf dem Plack, nicht in der Schulter oder am Kragen. Wunderbar!
Durch diese Beweglichkeit, die die Jacke dann mitbringt, kann sie sich ganz wunderbar an den Körper des Trägers anpassen. Die Körperwärme erwirkt in Verbindung mit Naturmaterialien wie Rosshaar und Wolle ganz großartige Ergebnisse: Das Sakko wird „auf den Körper gebügelt“.
Jede von uns hätte hier am liebsten einen ganzen Anzug, Station für Station, zusammen genäht. Da wir mit einem solchen Unterfangen den Betrieb empfindlich aufgehalten hätten, stehen wir staunend mit großen Augen daneben und gucken den Damen auf die Finger.
Zwei Tage lang dürfen wir uns in der Produktion umschauen. Dazwischen gibt es Infos zu den neuen Möglichkeiten betreffend der Schnittübermittlung. Neuerungen im Bereich Verarbeitungsoptionen und Ausstattung.
Und weil ein hungriger Bauch nicht gern studiert, gibt es Abends ein super leckeres Essen beim Italiener in Saarbrücken. Geschlafen wird himmlisch im Sengscheider Hof. Die „Doppelzimmer“, die wir Mädels bewohnten, entpuppten sich als Suiten 🙂
Doch selbst beim geselligen Abendessen hört das Fachgespräch nicht auf, denn hier nutzt man den Kontakt mit den anderen anwesenden Tailor Hoff Partnern um Erfahrungen, Tricks und Anekdoten auszutauschen.
Vielen Dank an Eric Musgrave für die beiden Bilder von der Tailor Hoff Produktion.