Ein Tag als Praktikantin bei „Spitz Maßdesign“
So, jetzt ist es 9 Uhr morgens, und ich steige gerade von meinem Rad ab. Ich stehe im Innenhof der Mittleren Schulstraße 2. Nett hier. Sehr ruhig, und trotzdem direkt in der malerischen Innenstadt.
Sie gestatten? Mein Name ist Felicia und ich befinde mich am Ende meines 2. Lehrjahres zum Maßschneider. Die Ausbildung mache ich zwar nicht bei Susanne Spitz, dennoch darf ich in ihrem Atelier in den nächsten Wochen den Beruf des Maßschneiders live und in Farbe und am eigenen Leib erleben – und wenn ich so viel sagen darf: es wird kunterbunt, turbulent und manchmal ein kleines bisschen verwirrend, aber eines ganz bestimmt niemals: langweilig!
Langeweile kann allein bei diesem Atelier schon gar nicht aufkommen. Wenn man eintritt, begrüßt einen die bunte Rikscha sofort. An den Wänden hängen Bilder von den Kreationen, die Susanne und ihr Team gemacht haben – elegante Abendroben, abgespacete Kleider, Kleider für Männer und für Frauen…
Die Arbeitsfläche ist groß und hell, die Nähmaschinen reihen sich aneinander, das Bügeleisen zischt und Coco – der kleine Hund – sitzt auf seinem grünen Kissen auf der Couch. Alles steht da, wo es um 9 Uhr morgens im Atelier steht. Susanne übrigens auch. Sie steht schon am Schnitttisch und begrüßt mich schwungvoll. Um sie herum: Stoffe, Schnitte, Aufträge. Heute stehen gleich mehrere Maß-Aufträge an, und ich bin schon sehr gespannt, wobei ich ihr helfen darf.
Magdalena – die nach der Ausbildung gleich bei Susanne geblieben ist – sitzt währenddessen an einem absolut herrlichen Spitzenkleid. Was sie da macht, nennt sich „Haute Couture-Spitzenverarbeitung“ – heißt so viel wie viel, viel Handarbeit, ruhige Hände (übrigens immer mit Fingerhut!) und ein Wahnsinns-Achten auf Details. Aber genau solche Sachen sind ja das Schöne an unserem Job.
Im Maßschneiderberuf darf man sich nämlich – bei gegebenem Anlass natürlich – gerne verkünsteln. Sei es in einem Spitzenkleid, wie es Magdalena gerade macht, oder in einem Jeanskleid für einen Herren – der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt, und kein Stück, an dem man saß, gleicht dem anderen. Denn jeder Kunde, der zu Spitz Maßdesign kommt, ist natürlich auch – naja, eben anders als der davor. Jeder hat andere Bedürfnisse, und bei jedem Auftrag geht man anders vor.
Und manchmal muss man eben sein Lehrbuch hinten anstellen und die Dinge nähen, wie sie fallen – so oder ähnlich war das jedenfalls. Das verwirrt mich zwar noch etwas, aber wenn ich Fragen habe, dann kann ich einfach jederzeit Susanne und Magdalena um Hilfe bitten.
So wie jetzt zum Beispiel. Ich helfe Susanne heute an einem hellblauen Chiffonkleid aus Seide – ein paar Tage zuvor bin ich an einem unsichtbaren Reißverschluss gescheitert, deswegen zeigt sie mir heute extra an diesem Kleid ihre Verarbeitungsweise. Die unsichtbaren Reißverschlüsse sind nämlich mein persönliches Kryptonit. Nie sehen sie so aus, wie ich das will, und deswegen bin ich Susanne gleich doppelt dankbar, dass sie mich bei sich noch mal über die Schulter schauen lässt.
„Das machst du dann so, das steppst du hier ab, dann biegst du den Reißverschluss im rechten Winkel auf – nicht zu viel und nicht zu wenig! – und dann steppst du hier und da noch mal ab.“
Schwupps, das ging echt schnell. Und sauber sieht’s auch noch aus. Ich stehe etwas ratlos hinter ihr und weiß nicht, was ich sagen soll. Ein perfekter unsichtbarer Reißer, in wenigen Minuten eingenäht, ohne, dass auch nur eine Naht wieder aufgetrennt wurde. Ich will das auch schaffen! (Ein paar Tage danach habe ich es dann übrigens auch geschafft – mit der Technik von Susanne ging das wirklich gut. Zwar noch nicht so schnell wie bei ihr, aber ich war schon stolz, dass der Reißverschluss wirklich super aussah. Wie würde Lothar Matthäus sagen? Again what gelearned.)
Wissen Sie, was ich an diesem Beruf auch fantastisch finde? Die Zeit geht unheimlich schnell vorbei. Schon ist es 12 Uhr – Mittagspause! Die verbringen wir alle heute beim Inder um die Ecke. Die Sonne scheint uns allen auf den Pelz, und Coco macht ein kleines Mittagsnickerchen. Ich lausche den Planungen, die so angestellt werden: was steht die Woche an, wie kann man diesen Auftrag verarbeiten. Es ist für mich, die ihre Ausbildung in einer Schule macht, unheimlich interessant, zu hören, wie ein Betrieb funktioniert.
Gesättigt starten wir dann in den zweiten Teil des Tages, der fast noch schneller vorbei geht, als der erste. Die Nadeln fliegen und die Maschinen rattern, das hellblaue Kleid, das zu Anfang des Tages noch aus einzelnen Schnittteilen bestand, wird schon über eine Puppe gestreift, das Spitzenkleid wird noch ein Stück perfekter, ich lerne noch ein bisschen mehr und dann ist auf einmal schon Feierabend für mich. Ich verabschiede mich von Susanne und Magdalena, fege noch eben durch’s Atelier – wobei ich mich immer den rätselnden Blicken von Coco unterziehen muss – und schwinge mich dann auf mein Rad: ab nach hause.
Bin ja mal gespannt, was morgen so ansteht, denn Sie wissen ja: langweilig wird’s im Atelier von Spitz Maßdesign niemals.