Ein Schnitt – tausend Kleider
Mir wurde vor kurzem ein sehr langsamer, beschaulicher Film empfohlen – insbesondere wegen der Bildgewalt und der wunderschönen Kleider, die die Protagonistin trägt. Und es war nicht zuviel versprochen.
„In the mood for love“ ist ein aus dem Jahre 2000 stammender Film von Wong Kar-Wei, der einiges an Auszeichnungen eingeheimst hat. Langsam und leise. Die Kamera schweift umher oder ihr Blick ruht schenibare Ewigkeiten auf einzelnen Einstellungen. Schenibar menschenleere Räume mit Stimmen aus dem Off. Gar Menschen, die zwar eine Rolle spielen, dem Zuschauer aber niemals zu Gesicht kommen…
Der eigentliche Inhalt des Filmes ist kurz erzählt. Mit der Tragweite der Symbolik hingegen lassen sich wohl Seiten füllen. Die meines Erachtens passendste Filmkritik fand ich hier.
Doch nun zu dem Punkt, der mich am meisten interessierte: Die Garderobe der Hauptdarstellerin.
Ein Schnitt. Sie trägt viele Kleider – aber allen liegt ein Schnitt zu Grunde. Der hinten fünf bis sechs Zentimeter hohe, stark versteifte Stehkragen. Die typisch schräge Öffnung vom Kragen in der vorderen Mitte hin zur Seitennaht… Die seitlichen Schlitze im Rockteil.
Faszinierend! Das einzige was sich ändert sind Saumlänge und Ärmelchen. Die Kleider bedecken immer die Knie, gehen aber auch bis zum Knöchel. Mal hat das Kleid keine Ärmel, mal ein angeschnittenes Ärmelchen oder kleine eingesetzte Ärmel, die eben die Schulterkugel bedecken.
Es werden offensichtlich auch viele verschiedene Materialien verwandt. In manchen Kleider konnte ich deutlich Abnäher zur Formgebung finden, in anderen suche ich vergeblich.
Und wie sind die Kleider geschlossen? Die Kleider sitzen in der Taille so schmal… das müsste alles hoch elastisches Stretch-Material sein…
Also mache ich mich auf die Suche in die Weiten des Netzes und lerne: Das Kleid nennt sich Qipao oder auch Cheongsam. Seine Geschichte reicht weit zurück in graue Vorzeit und ist damals tatsächlich Uniform und Erkennungszeichens einer Gemeinschaft gewesen. Für mich noch viel spannender: Der schräge Verschluss läuft meist von der vorderen Mitte zur RECHTEN Seite. Nach heutigem Reglement würde der Verschluss zur linken Seitennaht laufen, da die Damen „rechts über links“ schließen. Ob ich daraus schlussfolgern darf, dass im Gegensatz zu unseren Breitengraden die Position einer Kammerzofe und Anziehhilfe in China nicht besetzt war?
Ich vermute, dass die Quipaos früher zum einen weiter geschnitten waren und zum anderen über die linke Seitennaht zu öffnen waren. Vermutlich wurde mit der Erfindung des Reißverschlusses der „Einstieg“ verborgener. Und die Kleider von „in the mood for love“ sind höchstwahrscheinlich mit nahtverdeckten Reißverschlüssen gearbeitet.
Sehr beeindruckend fand ich den Artikel über eine Quipao Ausstellung, eine wunderbare Reise durch die Verwandlungen eines schlichten Schnittes.
Ein Credo beweist das Qipao: aufwendiger Stoff – einfacher Schnitt. „In the mood for love“ zeigt das in jeder Szene aufs Neue. Mir sind jedenfalls gleich einige Ideen in den Kopf geschossen, die sicher in naheliegender Zeit unter meiner Nähmaschine Realität werden… 😉
ps: für mich unglaublich spannend: Habe eine Schnittvorlage im Netz gefunden. Alles ganz „normal“ – nur der Ärmel… Yessss! Super Idee!