Ein „schnelles“ Kleid
Als ich mit meiner Ausbildung begonnen habe, hatte ich eine Phase, in der ich mir aus – heute würde ich sagen – minderwertigem Materialien immer wieder das gleiche Modell genäht habe. Ein gerade fallendes langes Kleid mit schmalen Trägern und meist geschwungene, Ausschnitt.
Ich habe so ein Kleid – ohne Futter – in drei, vier Stunden genäht. Zwei Rückenteile, in die ein nahtverdeckter Reißverschluss kam, ein Vorderteil. Längsnähte versäubern, Längsnähte steppen. Den Ausschnitt wahlweise rollieren (!!!) oder eben verstürzen (puh! Besser…). Träger dran und Saum genäht.
Das ging vor allem deshalb so fix, weil ich wusste, dass der Schnitt super passt und weil ich mit vorliebe auf Jersey oder anderweitig elastische Stoffe zurück gegriffen habe.
Heute sieht das etwas anders aus: Ich muss einen Stoff haben, der eine gewisse Qualität hat. Und nein, es gibt keine Qualität für drei Euro den Meter. Ja, Ausnahmen bestätigen die Regel. Manchmal findet man irgendwo so ein Schnäppchen – doch danach zu suchen würde bedeuten, das beim Kauf gesparte Geld in die Suche zu investieren.
Zudem bin ich durch meine inzwischen 20 Jahre Maßschneiderei so „verwöhnt“, dass ich eine anständige Verarbeitung haben will. Eine Kollegin von mir hat den Spruch geprägt „Ein Kleidungsstück muss Dich auch von innen anlachen!“. Sie hat so Recht! Ich mag etwas schon gar nicht anziehen, dass innen wie Kraut und Rüben aussieht. Das bedeutet nicht, das jedes Kleid ein Futter haben muss. Dennoch ist ein Futter oft der entscheidende Unterschied zwischen „ich fühle mich angezogen“ und „naja, nackt bin ich nicht“.
Der dritte Punkt, der sich verändert hat: Ein Kleid, wie ich es oben beschrieben habe, würde ich vielleicht zu Hause zum rumlungern tragen, aber das wäre mir heute für den Alltag „zu wenig“. Auch hier sind meine Ansprüche gewachsen.
Ich liiiebe Kleider. Mit nichts ist man einfacher und vollständiger angezogen. Doch dafür muss das Kleid auch schmuck genug sein, dass es mir ein Gefühl von „Vollständigkeit“ vermittelt. Klingt komisch – ist aber so 🙂
Zum Glück gibt es immer noch ein paar Modelle, die ich mir sehr gerne wieder und immer wieder nähe. Zum Beispiel mein „Hermes“-Kleid. Den Namen hat es bekommen, weil das Erst-Modell aus grauer Wolle war mit einem Aufdruck von lauter Pferdegeschirren. Zwischendrin habe ich es mir auch mal in rot/grau nachgenäht, hierbei aber die Ärmel verändert.
Und letztens bekam ich einen sehr feinen Woll-Jersey in die Hand, der nach diesem Schnitt förmlich schrie. Der Schnitt ist nicht sooo einfach, aber überschaubar. Allerdings hatte ich bis dato die Kleider immer in irgendeinerweise mit einem zweiten Stoff abgesetzt. Und dieses Mal fiel mir als Zwei-Material ein Veloursleder in die Hände, das farblich perfekt zum Stoff harmonierte.
Leder ist nur nicht dehnbar. Zumindest nicht in dem Maße wie der Wolljersey. Müsste ich jetzt also einen Reißverschluss einarbeiten? Das wollte ich eigentlich nicht. Zum einen sind Reißverschluss und Jersey nicht die allerbesten Freunde und zum anderen wollte ich ja ein „schnelles“ Kleid. Jetzt uferte das Projekt schon wieder so aus! Zu allem Übel war der feine Wolljersey gleich so fein, dass er als Rock schlicht zu durchsichtig war.
Ach menno! Futter und Jersey… Nee…
Manchmal ist einem das Glück hold und man hat passend zum Wolljersey noch einen Viskose-Jersey, der sich als Unterrock anbietet. Erste Klippe gut umschifft! Blieb die Sache mit dem Reißverschluss. Ich entschied mich das Kleid erst mal zusammen zu nähen. Wenn könnte ich die Seitennaht erneut auftrennen und einen Reißverschluss einsetzen.
Das Ergebnis: Ich bekomm meinen Busen schon durch 😉
Meinen Lieblingskundinnen würde ich das nun nicht zu muten, dass sie ihren Vorbau durch den schmalen Durchlass „quetschen“, aber für mich selbst akzeptiere ich manchmal gewissen Dinge der Schönheit wegen. Ein Reißverschluss wäre einfach immer ein bisschen sichtbar gewesen. Das Lederband unter der Brust liegt genau auf der Naht zwischen Oberteil, Rock und Faltenteil. Das ist im Verhältnis so dick, dass der Reißverschluss seine Mühen gehabt hätte. Ich hätte diese Stelle mit etwas Abstand zu den Reißverschluss-Zähnchen annähen müssen. Nein, nein, nein. Da schlängel ich mich lieber hin durch.
Was soll ich sagen? Ich war selbst erstaunt, dass ich nach 8,5 Stunden ein fertiges Kleid in Händen hielt. Ging ja doch ganz flott!
Wer das schöne Stück aus der Nähe bewundern will, der merke sich schon mal den 23. Mai. Im Rahmen von „Ein Blick hinter die Kulissen“ gibt es das Kleid nämlich zu sehen.