Die Begeisterung hält an
Vor einem Monat wies ich an dieser Stelle auf die Ausstellung „Alexander McQueen – Savage Beauty“ hin. Inzwischen war wohl Weihnachten denn mir wurde – allerliebsten Dank! – der Ausstellungskatalog geschenkt. Auf 240 Seiten kann ich nun die Kunstwerke des leider viel zu früh verstorbenen Alexander McQueens studieren…
Vielleicht ist das für Menschen, die sich auf einer anderen Ebene mit Kleidung beschäftigen langweilig oder gar nicht zu verstehen. Vielleicht können Menschen meine Begeisterung nach empfinden, die selbst ein Thema haben, für das ihr Herz schlägt. Vielleicht wird der ein oder andere meine Begeisterung teilen, wenn er entdeckt was ich sehe…
Am meisten faszinieren mich seine Modelle, die Nähte „auslassen“. Alexander McQueen sagte über sich selbst, dass ein Großteil des Designs sich während der Anproben ergibt. Ich vermute, dass er mit großen Stücken Stoff gearbeitet hat und sich darauf eingelassen hat, wie diese Stoffstücke sich um die Puppe legen lassen. Da ist die Jacke „Joan“, die in der Herbst/Winter Kollektion 1998/1999 entstanden ist:
Es sieht aus, als wären zwei Jacken in einer Jacke zusammengefasst. Die „Unterjacke“ ist hochgeschlossen mit Stehkragen. Die „Überjacke“ erinnert an Uniformjacken um 1800. Zumindest die beiden hochlaufenden Knopfreihen. Der breite hinten aufgestellte Kragen ist „neu“. Was mich nun so begeistert ist die Tatsache, dass das Schnittteil, das diese Überjacke bildet, eins ist. Der Stoff geht also vom Saum hoch bis zur Schulter, einmal „quer“ zur anderen Schulter und von dort wieder bis zum Saum hinunter. Was das Bild mir nicht verrät, was ich aber stark vermute: Wahrscheinlich hängt auch noch der Rücken mit an diesem Schnittteil.
Gearbeitet ist die Jacke aus Cashmere. Dieser muss sehr leicht und dünn sein, denn die „Überjacke“ ist an der Kante verstürzt. In der Seitwärtigen Front und im vorderen Amrloch liegt der Stoff also mindestens dreifach!
Ganz anders vom Charakter, aber eben auch dieses „Wofür braucht man Nähte?“ ausstrahlend ist das Kleid mit Handschuh aus der Herbst/Winter Kollektion 2010/2011. Diese Kollektion hinterließ Alexander McQueen unvollendet. Seine Chefdesignerin Sarah Burton oblag die Aufgabe, dieses Erbe in McQueens Sinne zu vollenden.
Auf den Seidensatin wurde ein Bild von Hieronymus Bosch gedruckt – und dies sollte nicht zerstört werden. Und ja, es sieht so aus, als wäre der Stoff geschickt drapiert und mit einigen Stichen fixiert worden. Selbst das Foto, auf dem man einen Teil der Rückansicht des Kleides im Spiegel betrachten kann, lässt mich keinen Schnitt im Stoff erkennen! DAS ist Kunst! Mir verursacht so etwas regelrecht Gänsehaut.
Mein aktuelles Lieblingsstück ist ein Kleid aus der Frühjahr/Sommer Kollektion 1998. Ich glaube, ich darf es als „Vorläufer“ der oben vorgestellten Jacke bezeichnen.
Auf den ersten Blick dachte ich für einen Moment, ich sähe eine Jacke mit Rock. Klassisches Revers… Doch ist es ein Kleid mit gewagtem Ausschnitt, der durch einen feinen Tülleinsatz zusammen gehalten wird. Hier gilt meine Aufmerksamkeit dem Revers. Beide Seiten hängen über eine kleine Stoffwiege zusammen. Das Kleid ist so straight, so klar! Es ist schlicht und perfekt.
Die Schultern sind so sauber ausgearbeitet. Das Revers ist… wow! mit diesem gigantischen Ausschnitt, dann die Pattentaschen, die man bei genauerer Betrachtung auf dem Rock erkennt. Und zu guter letzt die beiden Schlitze vorne im Rock, die mich an ein Herrensakko in der Rückansicht erinnern.
Eine moderne Uniform… Passend dazu die Worte McQueens: „I want to empower women. I want to be afraid of the women I dress.“ „When you see a woman wearing McQueen, there´s a certain hardness to the clothes that makes her look powerful. It kind of fends people off.“ „It´s almost like putting armor on a woman. It´s a very psychological way of dressing.“
Jedenfalls weiß ich schon, wie mein nächstes Kleid aussehen wird…