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Mantel-Krimi

Herrengarderobe fertigen wir meist nicht selbst. „Was?!?“ fragen Sie sich vielleicht. Das liegt daran, dass es einige Kollegen gibt, die sich darauf spezialisiert haben, für Kollegen die Anfertigung zu übernehmen. Das bedeutet: Ich mache den Schnitt und schicke dem Kollegen diesen, sowie den Stoff zu und der Kollege übernimmt dann die Näharbeiten.

Diese Arbeitsteilung ist unter dem Begriff „Maßkonfektion“ bekannt. Es gibt drei Kollegen, mit denen ich bereits zusammen gearbeitet habe: Stylers, VIPO und Tailor Hoff, eine Tochterfirma von Scabal. Der Vorteil dieser Zusammenarbeit ist ein finanzieller und zwar für alle beteiligten: Während wir im Atelier für einen Anzug rund 60 Stunden Zeit benötigen, sind die vorgenannten Kollegen erheblich schneller.
Nein, nein! Das liegt nicht daran, dass wir Schnecken-Schneider wären.
Die Kollegen arbeiten nur ganz gewisse Modelle: Herren Anzüge, Westen, Hosen, Sakkos, Mäntel, Geröcke und Fräcke. Es gibt von jedem Kollegen einen strickten Formenkatalog, in dem er sich bewegt. Und die Kollegen haben Automaten in ihren Großateliers, die gewissen Arbeitsschritte erhebliche beschleunigen. So kann z.B. ein Taschenautomat eine Frankfurter Tasche binnen 90 Sekunden nähen. Macht man das selbst, braucht man eher 90 Minuten. Allerdings kostet so ein Automat auch im höheren fünfstelligen Bereich. Diese Geräte lohnen sich also nur, bei Auslastung.
Und genau das ist der Deal: Die Kollegen arbeiten B2B. Wir übermitteln unsere Schnitte elektronisch und dann werden die bestellten Teile gefertigt. Das funktioniert dann wie in der Konfektion: der eine näht diese Naht, der andere die nächste Naht.
Das Ergebnis ist ein Garderobenstück, dass 97% der Passform eines Vollmaßanzuges hat, bei halben Preis.
Schön, oder?

Nun wünschte sich Oliver H. einen Mantel. Stoffe, Schnitt und Ausführung waren schnell geklärt. Jedoch sollte auch das Innenleben „besonders“ sein: Oliver besitzt seit mehr als 25 Jahren eine wunderbare gebatikte Baumwolle, die er einst auf Bali bekommen hatte. Diese sollte als Torso-Mantel-Futter benutzt werden.
Der erste Spaß war, dass der Stoff so bedruckt war, dass man ihn quer verarbeiten musste. Doch lag der Stoff nur 110cm breit. Der Mantel sollte aber 123cm lang werden. So richtig viel Stoff war das auch nicht… Wir puzzelten also für den Kollegen, der die Anfertigunge übernehmen würde, das Futter so zurecht, dass er dann gut zuschneiden würde können.

Der gewählten Oberstoff – ein wunderschöner Woll-Cashmere-Stoff von Scabal – wurde direkt zu Stylers geschickt. Das Futter, packte ich nach unserer Puzzleaktion in die Post und schickte es ebenso zu den Kollegen. Das so ein Päckchen mal ein paar Tage braucht, ist nicht verwunderlich. Wenn es aber vier Wochen lang „unterwegs“ ist, werde ich deutlich nervös.

Ich veranlasste bei der Deutschen Post also einen Nachforschungsauftrag. Nun war wieder warten angesagt… Nochmals vier Wochen später bekam ich Post – von der Post. Mein Päckchen samt dem Baumwollstoff von Oliver waren verschwunden. Da ich es nicht versichert gesandt hatte, war es mit lediglich knapp 50 Euro versichert.
Das Problem bei einem solchen Stoff ist ja gar nicht der tatsächliche Wert. Was wird die Baumwolle auf Bali vor 25 Jahren gekostet haben? Das Problem ist der ideelle Wert: unbezahlbar.
Der unschönste Teil war für mich Oliver mit zu teilen, dass sein Stoff abhanden gekommen ist und wir jetzt mit der Futter-Suche von neuem beginnen müssen. Wenn mir jemand etwas anvertraut und ich verliere es dann, ist das einfach ein gruseliges Gefühl. Zum Glück ist Oliver ein sehr freundlicher Mensch, der mir das Malheur nicht krumm nahm.

Nachdem das erledigt war und ich anfing nach Stoffen mit ähnlicher Musterung und Farbgebung zu schauen, fiel mir siedendheiß ein, dass ich mal nachfragen müsste, wie es eigentlich um den Scabalstoff steht. Ich selbst hatte dazu keine Rechnung bekommen, aber wenn der Stoff schon bestellt worden war, wäre es nur rechtens, wenn ich den bezahlte. Es kann ja nicht sein, dass mein Kollege für einen Stoff in Vorleistung geht, von dem gerade gar nicht klar ist, wann er verarbeitet werden wird.

Die Antwort, wie wir das mit dem Stoff machen wollten, überraschte mich allerdings: Martin Vennewalt schrieb mir, die Rechnung würde beigelegt werden. Hä? Beigelegt zu was?
Einen anderen Auftrag hatte ich ad hoc nicht laufen. Schicken die mir jetzt den Stoff zu, damit er nicht bei ihnen rumliegt, bis er dann gebraucht wird? Hatten die gar den Mantel genäht und einfach ein anderes Futter genommen? Oder bekomme ich jetzt einen ungefütterten Mantel?!?

Zwei Tage später lüftete sich das Geheimnis auf die denkbar beste Möglichkeit: Es kam ein Hängekarton von Stylers an – mit dem Mantel von Oliver darin. Und der war mit dem Batikstoff aus Bali gefüttert.

Wie bitte ist das denn gelaufen?!?
Es stellte sich heraus, dass zeitnah zum Nachforschungsauftrag der Stoff endlich bei Stylers ankam. Die gingen davon aus, dass das eben der durch mich beauftragten Nachforschung zu verdanken sei und ich die dementsprechende Information erhalten hätte. Ich hingegen war davon überzeugt, dass das Material auf nimmer Wiedersehen verschwunden sei…

Ich meldete sofort an die Deutsche Post, dass der Stoff nun doch nocht aufgetaucht sei. Allderings ging das irgendwie unter und mir wurden doch noch die knapp 50 Euro überwiesen. Da fühlte ich mich nun auch nicht mehr verantwortlich und freute mich über den unerwarteten Geldeingang.

Der krönende Abschluss war, dass Olivers Mantel auf Anhieb super passte. Ein Mantel-Modell mit sehr speziellen Details: Auf dem beigen Torso ist ein grüner Kragen aufgesetzt. Das ganze ist als sogenannter „Sturmkragen“ gearbeitet: Die linke Kragenseite ist oberhalb des Revers verlängert und mit einem Knopfloch ausgestattet. Unter der rechten Kragenseite findet sich der passende Knopf. Wenn es also ungemütlich windet, kann Oliver den Kragen hochschlagen und schließen. Auch das Revers schlägt so übereinander und gibt nochmals zusätzlichen Schutz vor Wind und Kälte.

Damit der Mantel auch in der kältesten Jahreszeit noch warm hält, haben wir zusätzlich ein Steppfutter gearbeitet, dass über Druckknöpfe im Mantel befestigt wird. Es ist passend zum Kragen dunkelgrün gehalten.

Inzwischen ist der Mantel im Einsatz und nach dem der Stress vorrüber ist, habe ich eine wundervolle Geschichte, die ich erzählen kann

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